Gewalt gegen Kinder
Veröffentlicht: Dienstag, 01.06.2021 17:40
Gewalt gegen Kinder hat auch im Kreis Steinfurt dramatisch zugenommen. Der Kinderschutzbund in Rheine stellt sich auf einen „Tsunami“ an Meldungen ein, sobald wichtige Kontroll-Instanzen wie Schule, Kindergärten und Vereine wieder zu normalen Abläufen kommen.

Noch werden die Beratungsstellen, Jugendämter und auch die Polizei nur durch Nachbar:innen, Freund:innen oder Familienmitglieder alarmiert, wenn etwas auffällt. "Im Lockdown war das Schweigen groß," sagt Sabine Busch-Murray vom Kinderschutzbund Rheine. Trotzdem habe es im zweiten Halbjahr 2020 genauso viele Meldungen gegeben wie im ganzen Jahr 2019.
Corona hat zu mehr Gewalt gegen Kinder geführt
Corona hat zu mehr Gewalt gegen Kinder geführt. Das beobachten die Expert:innen in Rheine. Noch bleibe vieles im Dunklen, bis Schulen, Kitas und Sportvereine zum Normal-Betrieb zurückgekehrt sind. Auch die Polizei geht davon aus, dass ohne deren „Kontrolle“ vieles unentdeckt bleibt. Dass Kinder oder Jugendliche selbst zur Polizei gehen, komme in den seltensten Fällen vor, heißt es beispielsweise aus Osnabrück.
Vieles läuft "unter dem Radar" der zuständigen Stellen
Die Ursachen von Gewalt gegen Kinder sind so vielfältig wie die Fälle, die bekannt werden. Oft sind Eltern überfordert, zum Beispiel wenn der Job weg ist oder die Zukunftsaussichten generell schlecht sind. Soziale Isolation durch die Pandemie hat Probleme noch verschärft. Sind dann die Wohnverhältnisse noch schlecht oder es sind gesundheitliche oder psychische Probleme, Alkohol oder Drogen im Spiel, ist die Eskalation vorprogrammiert. Manche Eltern trauen sich auch aus Schamgefühl nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen, vielleicht auch aus Angst davor, dass ihnen die Kinder weggenommen werden.
"Gewalt" hat viele Facetten
Gewalt gegen Kinder lässt sich nicht auf körperliche Misshandlung reduzieren. Psychische Misshandlung kam 2020 sogar noch häufiger vor. Die Berater:innen werden auch aktiv, wenn es um Vernachlässigung geht, emotional wie materiell. Oft ist auch Mobbing im Spiel und in vielen Fällen gibt es Kombinationen der verschiedenen Gewalt-Formen.
Mehr sexualisierte Gewalt gegen Kinder
Im Kreis Steinfurt hat auch die sexualisierte Gewalt gegen Kinder zugenommen. Die Täter nutzen offenbar aus, dass im Lockdown nicht mehr so viele Menschen wie sonst ein Auge auf die Kinder hatten. "Täter sind auch online intensiver unterwegs, um an Kinder und Jugendliche heranzukommen," sagt Busch-Murray. Die Corona-Pandemie wirke in jeder Hinsicht als Brandbeschleuniger. Der Lockdown habe Kinder und Jugendliche isoliert. Dadurch seien viele aus der Obhut sozialer Stellen verloren gegangen.
Kinderschutzbund bereitet sich auf Melde-Welle vor
Die Berater:innen beim Kinderschutzbund in Rheine bereiten sich auf eine Meldewelle vor. "Kindergärten, die Schulkinder an die Schulen abgeben, werden mehr Auffälligkeiten, Entwicklungsrückstände und Sprachstörungen melden," sagt Busch-Murray. In Schulen und Vereinen fällt möglicherweise auf, dass Kinder während des Lockdowns Gewalt erlebt haben. Wenn die sozialen Kontroll-Instanzen wieder laufen, komme alles hoch, so die Befürchtung beim Kinderschutzbund. Vieles, was im Verborgenen geschehen ist, komme dann erst ans Licht. Das verdeutlicht auch ein Blick in die Kriminalitätsstatistik der Polizei: Danach gibt es weder im Kreis Steinfurt noch im Raum Osnabrück einen nennenswerten Anstieg der Gewalt gegen Kinder.
Kinderschutzbund arbeitet am Anschlag
Derweil arbeiten die Expert:innen beim Kinderschutzbund in Rheine schon am Anschlag. Sie hoffen, dass die Gewaltprävention in gewohntem Maße weitergeht. „Was nicht passieren darf, ist dass das zugunsten der akuten Fall-Hilfe zusammengestrichen wird,“ sagt Sabine Busch-Murray. Nach dem Lockdown seien die Berater:innen im Spagat zwischen der Betreuung von Familien und Kindern und dem Wieder-Aufnehmen abgerissener Kontakte. Was Kindern an Gewalt erlebt haben, sei hochgradig unterschiedlich. Genauso individuell und kreativ müssten die Expert:innen vorgehen, um das Präventions-Netzwerk wieder aufzubauen - und im akuten Fall zu helfen.
"Bunte Brücke" hilft belasteten Eltern
Eins der Projekte, mit denen der Kinderschutzbund Rheine Hilfe anbietet ist die "Bunte Brücke", eine offene Sprechstunde für Eltern aus Rheine mit Kindern im Grundschulalter oder auch kurz vor der Einschulung. Sie haben die Möglichkeit, sich für ein unverbindliches Gespräch zu melden. Das geht telefonisch über die 05971/914390 oder per E-Mail an buntebruecke@dksbrh.de. Alle Kontakte sind vertraulich und auf Wunsch anonym. Jeden Dienstag von 10-12 Uhr sind über Zoom Mitarbeiter:innen des Kinderschutzbundes erreichbar. Zur Vermeidung von Wartezeiten werden in der offenen Sprechstunde auch individuelle Termine vergeben. Zoom Meeting-ID:972 5278 5128 Kenncode: 510405


